Faux-Bamboo-Möbel gehören zu den im deutschsprachigen Raum nur wenig beachteten Stilformen des späten 19. Jahrhunderts.
Die scheinbaren Bambus Applikationen wurden aus hellem, einheimischem Holz – meist Ahorn oder Buche – gefertigt, dessen Oberflächen durch Drechseln und Schnitzen so präzise bearbeitet wurden, dass sie die charakteristischen Knoten, Glieder und Unebenheiten von echtem Bambus täuschend echt imitierten.
Die Vorliebe für asiatische Formen war im 19. Jahrhundert keineswegs neu. Schon im 18. Jahrhundert hatten Chinoiserien die europäische Kunstlandschaft geprägt. Im Historismus des 19. Jahrhunderts wurde diese Begeisterung neu belebt – nun erweitert um Einflüsse aus Japan, das nach langer kultureller Abschottung 1867 erstmals auf der Pariser Weltausstellung teilnahm. Japanische Lackarbeiten fanden schnell Aufmerksamkeit, und Paris entwickelte sich zum Zentrum des Japonismus. Doch auch in Wien, Venedig und anderen europäischen Kulturmetropolen entstanden kunsthandwerkliche Arbeiten, die fernöstliche Formen aufgriffen und neu interpretierten.
Eine besondere Ausprägung dieser Mode zeigte sich aber auch in Amerika. Dort setzte die Begeisterung für Bambusmöbel ungefähr zur Zeit der Weltausstellung in Philadelphia 1876 ein und erreichte ihren Höhepunkt in den 1880er-Jahren. In dieser Phase entstanden zahlreiche Möbel, die echten Bambus nachahmten, aber vollständig aus einheimischen Hölzern gefertigt wurden.
Der Kunstkritiker Clarence Cook beschrieb in den späten 1870er-Jahren die Attraktivität ostasiatischer Bambusmöbel und verwies auf Vantine’s New York Emporium, das solche Stücke importierte und verkaufte. Cook bezeichnete sie als „capital stuff“ – hervorragend geeignet zur Ausstattung eines zeitgemäßen Landhauses, vor allem für Schlafzimmer, die als leicht, hell und sommerlich empfunden werden sollten. Ein Bericht in The Decorator and Furnisher (1886) beschreibt ein „außerordentlich geschmackvolles Schlafzimmer“ aus echtem oder künstlichem Bambus, das durch seine freundliche Wirkung hervorstach.
Produzenten der Bambus Imitate waren Nimura and Sato in Brooklyn und J. E. Wall in Boston.
Obwohl die Inspiration fernöstlich war, blieben die Möbel selbst westlich geprägt. Strenge, klare Linien und große Paneelflächen aus Vogelaugenahorn ordnen sie dem Reformmöbel-Gedanken der 1870er- und 80er-Jahre zu. Sie verbinden also exotische Anmutung mit vertrauter Formensprache und gehören damit zu den markanten Hybridformen des späten 19. Jahrhunderts.
Wer tiefer in die Thematik des ostasiatischen Einflusses im westlichen Möbelbau einsteigen möchte, dem sei das folgende Buch empfohlen: Rainer Haaff – Prachtvolle Stilmöbel ab Seite 568.

